Foodtrends 2020 – zwischen Widersprüchen, plant-based Shift und der Renaissance der Bulette

2020 wird in jedem Fall ein Jahr der (scheinbaren) Paradoxien. Gemüse wird der Star, aber Fleisch bleibt (vorerst) die Nr. 1 auf den Tellern. Plastik wird zum No-Go, aber der Verpackungsmüll in Deutschland wird mehr – statt weniger. Städte und Kommunen möchten immer mehr Bio in öffentlichen Kantinen, aber am besten bei Kostenneutralität. 

Diese Paradoxien unterstreichen, wie hoch die Geschwindigkeit einiger Trends ist, so dass es vorübergehend zu solchen Verwerfungen kommt. Wichtig: Die Richtung der Veränderung ist eindeutig: Mehr Bio, mehr pflanzliche Produkte, mehr Klimaschutz, mehr Partizipation, mehr einfache Botschaften, weniger Plastik, weniger Foodwaste.

Autor: Jörg Reuter, grüneköpfe Strategieberatung

Lebensmittel-Einzelhandel:

Produktinnovationen treten in den Hintergrund und Marken in den Vordergrund. Die wichtigsten Marken, die es 2020 zu beobachten gilt, sind „Share“ und „Du bist hier der Chef“. Beide Marken setzen auf Partizipation. Share mit einer sehr einfachen Mechanik, die voll die Bedürfnisse der Generation Z (20- bis 30-Jährige) anspricht. „Du bist hier der Chef“ mit einer eher komplexen, echten Mitmachmechanik, die in Frankreich sehr erfolgreich funktioniert und sicher eher die über 40-Jährigen anspricht. Ob der französische Ansatz, mit dem – nennen wir es mal: ungewöhnlichen Verpackungsdesign – in Deutschland eins zu eins funktioniert, bleibt abzuwarten. Klassische Markenhersteller werden es künftig jedenfalls immer schwerer haben, zwischen guten Eigenmarken des Handels, sympathisch-erfrischenden Start-up-Brands und solchen Partizipations-Marken zu bestehen. Bei den Eigenmarken des Handels werden sowohl die Bio-Marken, als auch die Regional-Marken weiter deutlich zulegen.

Interessant ist, dass sich im LEH bisher noch keine Storytelling-Marke (im Sinne einer substanziellen Produkt-Produzentenstory) entwickelt hat. Da geht noch was.

Das Thema „Pfand-Verpackungen“ wird weiter an Fahrt aufnehmen. Ein Thema, dass insbesondere Bier-Hersteller mit Individual-Gebinden schnell an den Pranger stellen kann. Sie führen mit ihrer Selbstverliebtheit Pfandsysteme ad-absurdum. Einzug wird das Thema in jedem Fall weiter im Mopro-Segment haben, auch Saft wird wieder mehr in Pfandgebinden kommen.  Perspektivisch ist zu hinterfragen, warum Pfandsysteme nicht auch in anderen Kategorien wie Konfitüre und Co funktionieren sollten.

Außer-Haus-Markt:

Spannendstes Trend-Phänomen quer zu allen Kanälen und Sparten des Außer-Haus-Marktes: Der Plant-Based-Shift. Kein oder wenig Fleisch zu essen, wird heute schon nicht mehr belächelt. Im Gegenteil, es wird zur Selbstverständlichkeit werden. Die Realität ist außerhalb einiger urbaner Hotspots in der gesamten Gastronomie und Gemeinschaftsverpflegung jedoch noch eine andere. Hilflosigkeit und Ideenlosigkeit, wohin man schaut. Da entsteht etwas Spannendes oder Dramatisches, wenn gesellschaftliche Bedürfnisse und Angebots-Realität so weit auseinanderklaffen.

Angebotsseitig wird hier mehr passieren als „eine vegetarische Linie“ oder ein paar vegetarische Speisen. Wir werden einen neuen Blick auf das Thema Gemüse erleben. Es geht nicht darum etwas wegzulassen, sondern um das Gesamterlebnis auf dem Teller. Wenn kulinarisch interessierte Allesesser selbstverständlich zum Gemüsegericht greifen, ist das Ziel erreicht. Weniger vermeintliche Trendküchen (wie die der Levante) werden dabei die Lösung sein, sondern ein Verständnis, wie man auch bei vegetarischen und veganen Gerichten mit Umami-Aromen so arbeitet, dass auch ein Fleischesser nichts vermisst. Jamie Oliver hat ja schon so einige Trends in den letzten 10 Jahren geprägt oder frühzeitig aufgenommen. Sein letztes Kochbuch „Veggies“ ist für mich eines der wichtigsten des vergangenen Jahres. Dort schreibt er treffend: „Das ist ein großartiges Gemüsekochbuch, geschrieben von einem passionierten Fleischesser, der beim Geschmack keine Kompromisse macht“.

Fleisch wird parallel keinesfalls verschwinden. Es bleibt zu beobachten, ob der Durchbruch in Richtung „weniger Fleisch, aber mehr Qualität“ schon 2020 in der Breite gelingt. Die Bulette (Frikadelle) wird dabei zum Star werden. Sie vereinigt alles: Romantische Heimatgefühle und eine Breitseite Geschmack. Sie funktioniert in der Tellermitte und als Sidekick zu einem Gemüsegericht. Sie lässt sich in der Rezeptur mit Gemüse (Mix aus Hackfleisch und Gemüse) variieren. Und sie ist spannend bei den Wareneinsatz-Kosten. Sie ist die Heldin der Ganztierverwertung und funktioniert von Kindergarten bis zur gehobenen Betriebskantine.

In den Betriebskantinen und Mensen werden wir eine zunehmende Instagramibilität des Essens erleben. Das hängt eng mit dem Thema Gemüse zusammen. Das hängt auch mit dem Zeitgeist und unserem sich wandelnden Verständnis von Food-Ästhetik zusammen. Es wird aber auch ein nicht unerheblicher Teil der Antwort auf das allseitig bejammerte Problem sein, „motivierte und qualifizierte Mitarbeitende“ zu finden. Wer sein gekochtes Gericht auf Instagram wiederfindet, wird sich wertgeschätzt fühlen. Wer sich wertgeschätzt fühlt, wird seinen Job gerne machen. Gute Kantinen werden gutes Personal finden.

Bio wird spätestens 2021 seinen Durchbruch im Außer-Haus-Markt haben und der bisher gravierende Unterschied zwischen Bio-Anteil im LEH und im Außer-Haus-Markt wird kleiner werden. Regionalität bleibt Wunschthema, es wird mehr und mehr Regionalprojekte geben. Das Bedürfnis nach Regionalität wird jedoch auch durch schlüssige und substanzielle Storytellingangebote teilweise substituiert.

Trends in den Restaurants (Gastronomie, nicht GV) werden abgesehen vom oben genannten „Plant-Based Shift“ weniger auf dem Teller stattfinden, als vor dem Teller. Ein kritisches Auseinandersetzen mit der eigenen Nachhaltigkeitswirkung nimmt hier ihren Anfang. Die Themen Klimaschutz und Verpackungsmüll sind allgegenwärtig.

Spannend könnte noch ein Thema werden, dem das ZEIT-Magazin in einer der letzten Ausgaben viel Platz einräumte und das von Wholefoods „Rethinking the Kids Menu“ genannt wird. Das Ende vom Schnitzel, Spagetti, Fischstäbchen und Hähnchennuggets auf der Kinderkarte. Ernährungswissenschaftler haben Anfang 2019 angeprangert, dass „80% der untersuchten Kindergerichte in den Restaurants schlecht für den Körper sind“. Die Generation, die heute kleine Kinder hat oder bekommt, ist die Generation Y. Diese hat für sich selbst einen deutlich höheren Gesundfokus beim Essen, als die Generationen zuvor. Daraus erwachsen neue Ansprüche an die Kindergerichte in den Restaurants.

Absatzkanalübergreifend (LEH, Gemeinschaftsverpflegung, Gastronomie) wird uns in den nächsten Jahren und sicher im gesamten, kommenden Jahrzehnt, das Thema „Klimaschutz & Food“ begleiten. Klimaschutz ist das Thema, an dem sich im Moment sehr viel fest macht. Auf den ersten Blick erscheint es wie ein Generationenkonflikt, doch Sascha Lobo beschreibt diesen Konflikt in einem sehr bemerkenswerten Spiegel-Online-Beitrag vom 01.01.2020, vollkommen zutreffend als „Epochenkonflikt“. „Das 20. Jahrhundert kollidiert mit dem 21. Jahrhundert.“

Hier kommt auf uns alle, einiges an Diskussion und Handlungsnotwendigkeit zu. Die ebenfalls sehr lesenswerte, aktuelle Studie des Zukunfstinstituts „Neo-Ökologie – Der wichtigste Megatrend unserer Zeit“, bringt es dramatisch auf den Punkt: „Der Megatrend bewirkt nicht nur eine Neuausrichtung der Werte der globalen Gesellschaft, der Alltagskultur und der Politik. Er erschüttert unternehmerisches Denken und Handeln in seinen elementaren Grundfesten.“

Die Klimawirkung einzelnen Lebensmittel wird heute seitens der Konsumenten, systematisch unterschätzt. Zusätzlich ist die Datenlage neben mehr oder weniger groben Richtwerten eher als dünn zu betrachten. Spannend ist, wer hier die nächsten großen Schritte machen wird. Sind es Markenartikler, die Eigenmarken, Start-Ups, der Staat oder Dienstleister wie eaternity.org. Letztere gilt es in jedem Fall im Auge zu behalten.

Wer das Ganze zu Ende denkt, wird zwangsläufig zu einer Art „Meta-Label“ als Lösung kommen. Ein Label, dass sowohl Klimawirkung, Tierwohl, Soziale Bedingungen und Umweltauswirkungen abbildet. Alle Faktoren lassen sich übrigens nicht immer gleichermaßen optimieren.


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